Rot gesehen

Schnell! Der Zug kommt gleich!“, keuche ich und renne in einem schnellen Schritttempo. „Ja warte doch, ich beeile mich schon!“, antwortet sie mir, wobei ihr die Haare bei dem Tempo ins Gesicht fallen und sie so ständig mit der Hand diese auf die Seite schieben muss. Schritt für Schritt laufen wir bis zur Ampel. „Diese blöde Ampel! Immer wenn ich komme wird sie rot!“, schimpft sie und schaut gedrängt auf die Uhr. Ihrem Blick nach würde sie am liebsten den Zeiger festhalten in der Hoffnung somit die Zeit anhalten zu können. Ich schau sie an und fange an zu lachen. „Warum lachst du?“, sagt das Mädchen. Ich murmele:“ Alle die dich sehen werden immer rot.“ Das Mädchen rollt mit den Augen und fängt plötzlich an zu lachen: "Du und deine Witze.“ Ich schaue sie an und rufe: "Grün! Los rüber jetzt!“ Wir setzen unseren Marathon fort. Ich blicke zu ihr, die Schweißperlen laufen langsam an ihrer Stirn herunter. Was läuft mir da gerade durch den Kopf? Habe ich mich etwa verliebt? Ich, in meine beste Freundin? Nein! Das darf nicht sein! Sie blickt mich an und ich wende meinen Blick schnell zurück auf den Gehweg. „Da! Der Zug steht noch da!“, schreie ich, wobei inzwischen aus unserem schnellen Schritttempo ein wahres rennen geworden ist. Die Tür steht offen. Ich springe in den Zug hinein und höre einen lauten Knall. Ich wende meinen Blick zurück. Da steht sie. Hinter der Tür, am Bahnhof. Mein Herz klopft schneller. Ich versuche die Tür zu öffnen, aber vergebens. Ich schau ihr in die Augen und versuche ihr mit Händen zu zeigen, das sie bloß hier bleiben solle. Ein Ruckeln und schon fährt der Zug weiter. Ich schau aus dem Fenster. Ich schaue ihr solange nach, bis ich sie nicht mehr sehen kann. Nun stehe ich da. Planlos. Ich öffne die Waggontür und setze mich auf einen freien Platz.

Mein Blick wandert auf die schnell vorbeigehenden Bäume, Wiesen und Straßen. „Ist da noch ein Platz frei?“, ertönt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe eine ältere Dame, womöglich Mitte 50. „Natürlich!“, antworte ich und rutsche ein Stück auf die Seite. Sie blickt mich an und sagt mit und schwacher Stimme: "Ist alles OK Junge?“ Ich schaue sie verwundert an. Warum interessiert die alte Frau es, wie es mir geht? Gibt es doch noch Menschen, die sich um Fremde kümmern als wären sie Freunde? „Naja, wenn ich ehrlich bin dann nicht“, antworte ich mich ruhiger und verwunderter Stimme. „Willst du es erzählen?“, fährt die Dame fort. „Ja, also ich bin mit einer Freundin zum Zug gerannt und ich bin grad noch so reingekommen und genau vor ihrer Nase ist die Tür zugegangen. Und als ich so zu ihr schaute sah ich ihren Blick. Ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber ich habe das Gefühl das zwischen uns mehr als Freundschaft ist.“ „Das klingt wahrlich interessant. Und wie sieht es auf deiner Seite aus? So wie du es erzählst hört es sich glatt so an, als ob zwischen euch mehr wäre.“, fügte sie meiner kleinen Erzählung gleich hinzu. Ich überlege mir kurz einen Moment was die Frau mir gesagt hat. Kann es wirklich sein? Haben sich meine Befürchtungen bestätigt? Aber was ist, wenn sie so denkt wie ich. Wenn sie selber auch über dieses plötzliche Gefühl überrascht ist.

Ich glaube, du solltest sie so schnell wie möglich vom Bahnhof abholen!“, sagte sie mir und schaut mich so an, als würde sie mich schon eine Ewigkeit kennen. Wie eine dritte Großmutter. „Sie haben Recht!“, antworte ich, wobei der Zug schon anhält. „Vielen Dank für ihren Rat!“, füge ich noch schnell hinzu, wobei sie nichts antwortet, aber ihr Blick alleine sagt mir, dass es für sie eine Selbstverständlichkeit ist. Ich glaube ich werde diesen Moment nie vergessen, als die alte Dame mir so wie ein Familienmitglied bei mir stand und mir geholfen hat. Schließlich stehe ich jetzt nun da. Planlos. Aber wie ein Blitz fällt mir die Idee ein. Ich schnappe nach meinem Handy, rufe ein Taxi.

 

Kurze Zeit später steht es schon da. Der Mann mit dem Vollbart sagt mit einer verkratzten Raucherstimme: "Wo soll´s hingehen?“ Ich antworte ihm geschwind und bitte ihn, dass er sich beeilen solle. Der Geruch während der Fahrt ist wirklich undefinierbar. Wie ein Döner, welcher nach Zigaretten schmeckt. Die Zeit vergeht schneller als ich dachte. Ich drücke dem Fahrer das Geld in die Hand und springe aus dem Auto und renne zum Bahnhof. Ich blicke mich um, doch sie war nirgendwo zu erkennen. Ich laufe weiter und rufe ihren Namen. Keiner da. Ich gehe zu der Stelle, wo unser Zug stand. Blicke mich um und sehe keinen. Betrübt schlendere ich zu einem Sitzplatz und setze mich hin. Mein Blick ist nach unten geneigt. Bemerke meinen Herzschlag und höre meinen Gedanken wie Schreie durch den Kopf hallen. „Hast du nicht was vergessen?“, sagt eine zierlich, mir vertraute Stimme. Ich wende meinen Blick nach oben und sehe die schönsten Augen, welche ich sonst bemerkt hatte. Sie nimmt meine Hand, zieht mich hoch und nimmt mich in die Arme. Warum habe ich diese hübschen Augen noch nie richtig bemerkt? Wir kennen uns schon so lange, aber noch nie sah ich ihre Augen mit solch einer Sehnsucht wie jetzt. Sie hat mich vermisst, das merke ich an der Art, wie sie mich umarmt. Eng umschlungen. Mit ganzer Kraft, als wolle sie meine ganze Luft aus mir pressen. Doch dann lässt das Mädchen los und schaut mich an und sagt die Worte über die ich die ganze Zugfahrt überlegt hatte. Das was die nette Dame aus dem Zug mir versucht hatte zu erklären. Was mich während der Taxifahrt verrückt gemacht hatte. Ihr Kopf wurde rot und sie sagt die schönsten Worte, welch ein Mensch je gehört hatte.

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