Eine duftende Zugfahrt

Hallo. Ich bin Jonas und ich sitze wie jeden Tag im Zug, welcher mich nach Hause führt. Jeden Tag erlebe ich dasselbe. Man eilt verschwitzt in den Zug um ihn nicht zu verpassen und drängt sich durch die Mengen von Schweiß- und Mundgeruch, an den eng aneinander stehenden Körpern vorbei und erhofft sich einen Sitzplatz zu ergattern. Durch den Zug zu laufen um an den nächsten freien Platz zu kommen. Mit dem Effekt selbst verschwitzt in der keuchenden Menge zu stehen und dann auf den nächsten freien Platz zu stürmen, wie in Reise nach Jerusalem. Ihr denkt euch nun, dass ist ja nervig. Und ja, damit habt ihr 100 von 100 Punkten erzielt. Die Frage ist, warum tue ich mir das Tag für Tag an? Gibt es denn keine anderen Möglichkeiten? Natürlich, der Bus. Der Bus, der weder voll noch leer ist. Und warum nehme ich diesen dann nicht? Damit ihr mich versteht, sollte ich euch etwas erzählen:

„Entschuldigung“, sprach mich eine zierliche und ängstliche Stimme an. „Sorry, aber ist der Platz neben dir noch frei?“, fuhr sie fort. Ich drehe mich in Richtung der Stimme und sehe ein Mädchen vor mir. „Natürlich“, antwortete ich und nahm meine Tasche auf den Schoß. Als sie sich saß bemerkte ich einen merkwürdigen Duft. Es roch süß, beinahe als läge man inmitten einer Wiese an einem schönen Frühlingstag. Es duftete gut. ich mochte es. Doch mein Gedankengang wurde plötzlich unterbrochen, als sie in ihrer Tasche wühlte. Was jetzt wohl kommen mag? Ein Smartphone, MP3-Player oder vielleicht etwas zu Trinken? Nein, es war etwas womit ich im Moment nicht gerechnet hatte. Ein Buch. Und nicht ein Schulbuch, oder etwas ähnlichem. Es schien ein Roman zu sein. Ich riskierte einen Blick um herauszufinden was sie las. „Ist etwas?“, blickte sie mich mit fragender Miene an. Ich tat so als hätte ich nichts mitbekommen und wandte meinen Blicke aus dem Fenster. Kaum hatte sie ihren Blick wieder in ihr Buch vertieft, da wagte ich einen weiteren Blick auf das Buch. Schien interessant zu sein. „Ich mag solche Bücher.“, sprach sie und ich erschrak. „Was meinst du?“, antwortete ich und schaute sie an. Ich bemerkte zum ersten mal ihre grünen Augen. „Naja, die Art von Buch, in welcher man sich in den Protagonisten vertiefen kann. Ich hab sogar manchmal das Gefühl, alles selber zu erleben.“, erzählte sie. Ich nickte. „Hast du einen Lieblingsautor?“, fragte ich. „Cecelia Ahern.“, antwortete sie. Kenn ich nicht, dachte ich mir. Und so redeten wir etwas über Bücher, Autoren und ähnlichem. Doch nach wenigen Minuten wurde das Gespräch unterbrochen. „Entschuldigung, aber ich muss hier gleich aussteigen.“, sagte sie mit einem etwas traurigen Ton in der Stimme. Ich schaute sie an und fragte: „Fährst du öfters mit dem Zug?“. Sie nickte und winkte zum Abschied. So kam es, dass wir uns tagtäglich im Zug trafen. Sprachen über Bücher. Lachten und teilten die Gefühle der Helden in den Büchern. Diskutierten über Bücherthemen. Dies ging einige Tage lang, bis zu dem gewissen Tag.

Ich saß ihm Zug und wartete wie immer drauf, dass sie einstieg. Schon als sie auf dem Weg zu mir in meine Richtung schaute, merkte ich, dass irgendwas nicht stimmen würde. „Hey! Alles OK bei dir?“, fragte ich sie. „Hey. Ja alles beim Alten.“, antwortete sie. Alles beim Alten? Das passt doch überhaupt nicht zu ihr. Normalerweise ist sie entweder schüchtern und höflich, oder schwärmt von den Welten in den Büchern. Doch heute war irgendetwas anders. „Hast du heute wieder das Buch Die Tribute von Panem – Gefährliche Liebe dabei?“, fragte ich sie? Sie verneinte. „Was dann?“, wunderte ich mich. „Keines.“, sagte sie trocken. „Wie? Wieso hast du kein Buch dabei?“, fragte ich sie und schaute sie an. Grüne Augen. „Ich hatte heute nicht so wirklich Lust zu lesen.“, antwortete sie. Und was soll ich jetzt sagen? Wir haben immer über Bücher geredet, doch ohne diese, hatte ich keine Ahnung über was wir sonst reden sollten. Ich wusste nicht wohin sie immer fuhr. Ich wusste ebenfalls nicht wie ihr Nachname war, wie alt sie ist und wo sie herkam. Ich saß da, völlig in Gedanken gefesselt und merkte nicht wie sie anscheinend bedrückt aus dem Fenster schaute. „Wärst du traurig, wenn du tagtäglich alleine wärst?“, fragte sie mich plötzlich. „Wie meinst du das?“, antwortete ich erstaunt und verwundert. „Ach egal!“, sprach sie und blickte wieder aus dem Fenster. Ich schaute sie weiter an und wunderte mich erneut. Und so vergingen die Minuten bis wir wie immer an der selben Haltestelle angekommen waren, bei welcher sie immer ausstieg. „Kannst du mal aufstehen?“, fragte sie mich. Wieso sollte ich jetzt aufstehen, dachte ich mir. Doch ohne weiter viel nachzudenken stand ich auf. Plötzlich umklammerte sie mich und begann zu schluchzten. „Alles OK?“, fragte ich. Doch sie antwortete nicht und drückte mich stärker. „Hey! Was ist denn los?“, fragte ich sie verwundert. Doch sie ließ mich los, packte ihre Tasche, drehte sie um und ging aus dem Zug. Ich dachte mir nur, was zum Kuckuck ist hier los? Egal, ich würde sie morgen wieder sehen und sie dann fragen, was los war.

In den Tagen darauf wartete ich im Zug, doch sie kam nicht. Tag für Tag wartete ich vergeblich. Sie kam nicht. Ich lief durch den Zug und suchte sie, doch sie war nicht da. Wo war sie? Was war passiert? Mir gingen die verschiedensten Möglichkeiten durch den Kopf. Hatte sie einen Unfall? Ist sie umgezogen? Habe ich was falsches gesagt? Oder hatte sie sich etwas angetan? Ich weiß es nicht und diese Unwissenheit trieb mich tagtäglich zur Weißglut. Und obwohl ich sie nicht mehr im Zug traf, fuhr ich weiter mit dem Zug, statt den Bus zu nehmen.

Nun wisst ihr warum ich tagtäglich mit dem Zug fahre. Bei jeder Fahrt mit der Hoffnung sie wieder zu sehen. Nur um nach ihrer Nummer zu Fragen, oder wo sie wohne. Tagtäglich sitze oder auch stehe ich im Zug, eingequetscht in der Menschenmasse. Umgeben von einem beißenden Schweißgeruch, statt ihres süßlichen Duftes. Und in meinem Kopf ihre grünen Augen. Ich bin Jonas und das ist meine Geschichte.

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